Nachdem das StaRUG in den ersten zwei Jahren eher einen Dornröschenschlaf hielt und jeder einzelne Fall gefeiert wurde, ist das Restrukturierungsverfahren in den letzten zwei Jahren “in der Praxis angekommen”, wie man so schön sagt. Allerdings nicht zur uneingeschränkten Freude aller Beteiligten, wie der “Rausschmiss” der Minderheitsgesellschafter in einigen aktuellen Fällen zeigt. In einer aktuellen Entscheidung liefert das OLG Stuttgart neuen Diskussionsstoff.
Hintergrund
Das OLG Stuttgart wurde in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit der Frage konfrontiert, ob für die Einleitung (“Anzeige”, vgl. § 31 StaRUG) eines Restrukturierungsverfahrens ein zustimmender Gesellschafterbeschluss erforderlich ist.
Angesichts zahlreicher, sich teils widersprechender, Entscheidungen unterinstanzlicher Restrukturierungsgerichte (s. dazu näher im Bericht des Ausschusses “StaRUG” des DRIT, hier und unten), hat sich innerhalb kürzester Zeit die Frage nach der Erforderlichkeit der Zustimmung der Gesellschafter zur Einleitung eines StaRUG-Verfahrens zur Kardinalsfrage des Verfahrens entwickelt.
Entscheidungsgründe
Das OLG Stuttgart hat die Frage zur Erforderlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses klar entschieden:
1. Für die Einleitung eines StaRUG-Verfahrens bedarf es jedenfalls dann keines vorherigen Gesellschafterbeschlusses, wenn ein Restrukturierungsverfahren die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren ist.
2. Die Regelungen des StaRUG verdrängen – zumindest soweit es um die Beteiligungsrechte von Gesellschaftern geht – die Vorgaben des Gesellschaftsrechts und der satzungsmäßigen Regeln.
Kritische Würdigung
Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist unter mehreren Gesichtspunkten als kritisch anzusehen: So führt das Gericht zur Begründung, dass zur Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens keine Zustimmung durch die Gesellschafter erforderlich sei, u.a. aus, dass das Verfahren darauf abziele, die Insolvenz abzuwenden und den Fortbestand der Schuldnerin sicherzustellen. Jedenfalls bei eingetretener Überschuldung, bei der sich die positive Fortbestehensprognose nur auf die mehrheitliche Unterstützung des Restrukturierungskonzepts durch die Gläubiger stützen lasse, liege es zudem näher, eine Parallele zur Insolvenzantragspflicht nach den §§ 15a, 17 und 19 InsO zu ziehen, die keinen Gesellschafterbeschluss voraussetzen (Rz. 109).
Die Argumentation des Gerichts ist bezüglich des zweiten Ansatzes schlicht falsch, weil Voraussetzung zur Einleitung eines Verfahrens nach StaRUG die drohende Zahlungsunfähigkeit ist, vgl. § 29 Abs. 1 InsO, also ein Insolvenzgrund, bei dem nach herrschender Meinung gerade ein Gesellschafterbeschluss vor Insolvenzantragstellung erforderlich ist.
Demgegenüber darf zum Zeitpunkt der Antragstellung noch kein zur Insolvenzantragstellung verpflichtender Insolvenzgrund vorliegen (arg. ex. § 42 Abs. 1 StaRUG, h.M.). Dementsprechend legt das StaRUG die Auslegung des OLG Stuttgart gerade nicht nah, sondern entscheidet sich dagegen.
Die Argumentation des Gerichts bezüglich der Insolvenzabwendung ist insoweit unvollständig, als dass sie die – grundrechtlich nach Art. 14 GG geschützte – Rechtsposition der Gesellschafter komplett außer Betracht lässt. Denn zwar soll das Verfahren tatsächlich die Insolvenz abwenden und den Fortbestand der Gesellschaft sichern, allerdings nicht zu Lasten der Gesellschafter.
Die vom Gericht jetzt angeführte Argumentation wurde nämlich seinerzeit als Begründung für die Einbeziehung der Gesellschafter im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens herangezogen, weil sich die schützenswerte Rechtsposition des Anteilsinhabers auf den restlichen Vermögenswert beschränke, der dem Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht auch im Insolvenzverfahren teilweise noch zukomme (vgl. nur BT-Drs.: 17/5712, S. 18, hier). Dieselbe Argumentation verbietet sich allerdings beim StaRUG, da eben die Anteilsrechte definitionsgemäß noch nicht, zumindest nicht völlig, entwertet sein können.
Würde man der Argumentation des OLG Stuttgart folgen, würde man zudem die Insolvenzgründe, die zu einer zwingenden Antragstellung verpflichten, im Endeffekt weiter nach vorne verlegen.
Ebenfalls fehlgehend ist der Verweis des OLG Stuttgart (Rz. 102) auf Art. 12 der dem StaRUG zu Grunde liegenden Restrukturierungsrichtlinie (EU) 2019/1023, wonach die Gesellschafter die Annahme und Bestätigung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren können sollen.
Die weitergehende Argumentation des Gerichts, dass es (deswegen) zu verhindern gelte, dass die Gesellschafter durch ihr Abstimmungsverhalten bereits im Keim die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens verhindern könnte, lässt die durch den BGH im Rahmen seiner Rechtsprechung zu “Sanieren oder Ausscheiden” festgelegten Prinzipien vollkommen außer Acht und gewichtet Gläubigerinteressen über Gebühr. Denn die Gesellschafter können nach dieser Begründung von der Geschäftsführung bereits an einer eigenen Willensbildung gehindert werden – und sind damit schon vor Einleitung des Verfahrens dem Wohl und Wehe der Geschäftsführung weitestgehend schutzlos ausgesetzt.
Konsequenzen für Gesellschafter
Die Konsequenzen der Begründung des OLG Stuttgart werden vor dem Hintergrund der Vorkommnisse beim Automobilhersteller Leoni gut verdeutlich: Im dortigen Verfahren waren die Anteilseigner im Juni 2023 im Rahmen eines StaRUG-Verfahrens entschädigungslos (im Wege einer Kapitalherabsetzung auf null mit anschließender Kapitalerhöhung um nominal EUR 50 Mio. unter Bezugsrechtsausschluss) aus ihrer Stellung gedrängt worden.
Im September 2024 – also knapp eineinviertel Jahre später wurde bekannt, dass der ehemalige Mehrheitsaktionär, der im Rahmen des StaRUG-Verfahrens 100% der neuen Anteile für Euro 150 Mio. erworben hatte, 50,1% für Euro 205 Mio. an einen chinesischen Investor veräußert hatte (hier). Zwar könnte man argumentieren, dass der vorgebliche Wertzuwachs seit Verfahrensende sich zumindest buchmäßig schon alleine aus der Kapitalerhöhung zuzüglich Agio sowie einem im Verfahren gewährten Forderungsverzicht in Höhe von Euro 708 Mio. berechnen ließe, die erst mit Rechtskraft des gerichtlichen Beschlusses dem Unternehmen zuflossen.
Selbst bei dieser eher optimistischen und bilanziell ausgerichteten Ansicht, dürften Fragen an die dem StaRUG-Verfahren zu Grunde liegende Unternehmensbewertung allerdings offen bleiben. Aber auch dann, wenn diese Unternehmensbewertung schlüssig gewesen ist, hinterlässt das letztendliche Ergebnis des StaRUG-Verfahrens einen schalen Beigeschmack. Denn an der Upside hat nur der verbleibende Aktionär partizipiert, während die Gläubiger und sonstigen Altaktionäre leer ausgingen – zumal § 32 StaRUG für die Zeit nach Einleitung des Verfahrens ausdrücklich festlegt, dass die Geschäftsführung “die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger” zu wahren habe.
Vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG Stuttgart könnte sich die Regelungen des § 1 StaRUG nun als entscheidende Stellschraube für Gesellschafter entpuppen. Denn zum einen haben die “Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs” nach § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG ein “Krisenfrüherkennungssystem” im Unternehmen vorzuhalten, welches ihnen das frühzeitige Erkennen einer etwaigen Schieflage des Unternehmens ermöglicht (s. dazu detaillierter hier). Erkennen die Geschäftsleiter eine solche Krise, so müssen sie im Rahmen des Krisenmanagements unverzüglich Maßnahmen zur Beseitigung der Schieflage entwickeln und darüber hinaus entweder die Aufsichtsorgane (§ 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG) oder die Gesellschafter (!) informieren (§ 1 Abs. 1 S. 3 StaRUG: “Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.“).
Zwar sieht das OLG Stuttgart augenscheinlich die Entscheidung zur Einleitung eines StaRUG-Verfahrens nicht als sog. “Grundlagengeschäft” an, bei dem die Gesellschafter grundsätzlich zu beteiligen sind (arg. ex. Rz 109 ff.), dies dürfte allerdings sowohl angesichts der zuvor zitierten Regelung innerhalb des StaRUG selbst als auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BGH zu “Sanieren oder Ausscheiden” nur sehr schwer haltbar sein.
Pflichten der Geschäftsleitung bei drohender Krise
Der Geschäftsführer, der eine Sanierung im StaRUG-Verfahren anstrebt, wird sich somit der Frage stellen müssen, ob das von ihm etablierte Krisenfrüherkennungssystem dazu geeignet war, die Krise so früh zu erkennen, dass er die Gesellschafter noch – auch im Hinblick auf mögliche Alternativen – informieren konnte. Im Falle einer negativen Antwort könnte er Gefahr laufen, zwar ein Restrukturierungsverfahren ohne Zustimmung der Gesellschafter einleiten zu können, für den bei den Gesellschaftern entstandenen Schaden (etwa wegen im Verfahren erzwungener Ausschlüsse aus der Gesellschaft) persönlich in die Haftung genommen zu werden.
Die Entscheidung ist in einem Verfahren eines vorläufigen Rechtsschutzes erfolgt, ihre Bindungswirkung für Untergerichte dürfte rechtlich gering, faktisch jedoch nicht zu unterschätzen sein. Schon auf Grund der vorgegebenen Instanzenzüge ist ferner zu befürchten, dass der – auch für Insolvenzsachen zuständige – IX. Zivilsenat des BGH die Entscheidung des OLG Stuttgart stützen wird.
Damit droht das Restrukturierungsverfahren zu einem vorgelagerten Insolvenzverfahren zu werden. Denn das Zusammenspiel aus einer mittlerweile in die Rechtsordnung – auch vom OLG Stuttgart – reingelesenen “Shift of fiduciary duties” ab Beginn der drohenden Zahlungsunfähigkeit (also 24 Monate vor dem prognostizieren Eintritt in die Zahlungsunfähigkeit, vgl. § 18 InsO), dürfte in Kombination mit der Negierung eines verpflichtenden Gesellschafterbeschlusses zukünftig dazu führen, dass Gesellschafter ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit weitestgehend rechtswirksam von Mitwirkungsrechten abgeschnitten werden können.
Empfehlung zur frühzeitigen Einbindung der Gesellschafter
Die Brisanz dieser Entscheidung könnte durch die neueste Rechtsprechung des BGH zur Haftung auch des abgerufenen Geschäftsführers noch verstärkt werden (s. dazu näher hier). Denn im schlimmsten Fall könnte sich ein Wettrennen zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern entwickeln, bei dem der Geschäftsführer versucht, die Sanierung des Unternehmens im Geheimen voranzutreiben (eben aus Angst vor der Abberufung) während die um ihre Einflussrechte fürchtenden Gesellschafter möglicherweise den Geschäftsführer beim geringsten Anzeichen von Restrukturierungsbemühungen abberufen. Dieses Spannungsverhältnis kann zu einer kompletten Lähmung des Unternehmens führen.
Praxishinweis
Ungeachtet aller Kritik ist das Urteil im Raum und Untergerichte werden sich im Zweifel an diese Entscheidung halten. Für Geschäftsführer, die sich diese Rechtsprechung zu Nutze machen wollen, besteht – neben den oben angeführten Haftungsgefahren – aber auch das Risiko, dass der BGH die Frage anders beantwortet, als das OLG Stuttgart.
Dementsprechend ist ein Geschäftsführer bis auf weiteres gut beraten, die Gesellschafter über ein geplantes Restrukturierungsverfahren in Kenntnis zu setzen und auf eine entsprechende zustimmende Beschlussfassung hinzuwirken. Ist eine Beschlussfassung der Gesellschafter z.B. wegen großem Streubesitz, nicht zeitnah möglich, so sollte zumindest eine Zustimmung des Aufsichtsorganes herbeigeführt werden. Erst wenn dies nicht gelingt, ist zu prüfen, ob – ggf. unter Berücksichtigung der durch die die “Sanieren oder Ausscheiden”-Rechtsprechung des BGH die Nicht-Zustimmung als unbeachtlich gewertet werden kann.
OLG Stuttgart, Beschl.. v. 21.8.2024 – 20 U 30/24 (Leitsätze)
DRIT, Bericht des Ausschusses “Drei Jahre StaRUG – Ladenhüter oder Shooting Star oder fehlt da noch was?”
BGH, Urt. v. 9.6.2015 – II ZR 420/13 („Sanieren oder Ausscheiden III“)
BGH, Urt. v. 25.01.2011 – II ZR 122/09 („Sanieren oder Ausscheiden II“)
BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08 („Sanieren oder Ausscheiden I“)
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