Hinweispflicht – auch Anwält*innen müssen nicht alles wissen

November 19, 2024
Volker Beissenhirtz

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Entscheidungen, wie die des BGH zur Haftung des Steuerberaters wegen unterlassener Hinweise zur Verhaltenspflicht des Geschäftsleiters in der Krise aus dem Jahre 2017, haben nicht nur die Fachwelt aufgeschreckt. Ein aktueller Hinweisbeschluss des OLG Düsseldorf zeigt jedoch schlüssig die Grenzen der Hinweispflicht eines mit “normaler” Mandatsbearbeitung beauftragten Anwalts auf und entspannt die Lage dementsprechend.“

Hintergrund

Die Klägerin hatte sich von einem Anwalt im Hinblick auf einen Aufhebungsvertrag mit dem Unternehmen, bei dem sie angestellt war, beraten lassen.

Nach Abschluss des Aufhebungsvertrages fiel besagtes Unternehmen in die Insolvenz und die Klägerin verklagte den Anwalt auf Schadenersatz, weil er sie nicht im Hinblick auf das Insolvenzrisiko beraten habe.

Über eine drohende Insolvenz des Unternehmens war unstreitig zwischen den Parteien nie gesprochen worden; erst in der Berufung hat die Klägerin zudem angeführt, dass sie den Anwalt etwaige Anhaltspunkte für eine drohende Insolvenz hätte nennen können.

Entscheidungsgründe

Das OLG Düsseldorf stellt in seinem Hinweisbeschluss klar, dass auch Anwälte nicht alles wissen müssen.

Mit Verweis auf die einschlägige BGH-Rechtsprechung erläutert das Gericht, dass zwar an einen Rechtsanwalt regelmäßig hohe Anforderungen an seine Kenntnisse und Fähigkeiten zu stellen seien.

Diese Kenntnisse und Fähigkeiten könnten jedoch nicht allgemein, jederzeit und unter allen Umständen verlangt werden. Solchen Anforderungen könnte niemand gerecht werden. Dies gilt auch für Kenntnisse zu tatsächlichen Umständen, die sich aus anderen Gründen zulasten des Mandanten auswirken können. Bei einer möglicherweise drohenden Insolvenz handele es sich zudem nicht um Rechtskenntnisse, sondern um allgemeine Kenntnisse zu betriebswirtschaftlichen Sachverhalten eines Unternehmens.

Derartige Kenntnisse, die für die Beratung nicht erforderlich sind, die für den Mandanten aber gleichwohl nützlich sein könnten, brauche der Anwalt nicht zu haben. Er sei auch nicht verpflichtet, sie aus Anlass des Mandates zu erwerben. Grundsätzlich, so der entscheidende Senat weiter, darf sich ein Rechtsanwalt auf die Vollständigkeit der tatsächlichen Informationen seines Auftraggebers verlassen, soweit keine Anhaltspunkte für eine Oberflächlichkeit oder Lückenhaftigkeit gegeben sind. Erwartet werde von ihm nur eine mandatsbezogene Rechtskenntnis, die zudem mit der Informationspflicht des Mandanten in Wechselwirkung stehe: Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit der tatsächlichen Angaben seines Auftraggebers vertrauen, ohne eigene Nachforschungen anstellen zu müssen.

Im vorliegenden Fall war die Insolvenzgefahr dem Anwalt offensichtlich nicht bekannt und nach Ansicht des Gerichts auch nicht anderweitig offensichtlich. Es hätte der Klägerin oblegen, den Anwalt entsprechend aufzuklären.

Die Berufung wurde auf Grund der Hinweispflicht des OLG Düsseldorf zurückgenommen, so dass in diesem Fall keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.

Kritische Würdigung

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf entschärft zumindest in Teilen die “Regressbombe” die der BGH mit seiner Entscheidung aus dem Sommer 2023 zündete. In der damaligen Entscheidung urteilte der BGH im Kern, dass den anwaltlichen Berater im Rahmen einer Beauftragung zur Bearbeitung einer Krisensituation des Unternehmens die Pflicht treffe, die (faktische) Geschäftsleitung auf die Möglichkeit des Vorliegens von Insolvenzgründen und die daraus resultierenden ggf. vorliegenden Antragspflichten hinzuweisen.

Der BGH schränkt den Pflichtenkreis in der Folge wieder etwas ein, indem er (Rz. 23) ausführt, dass „die Hinweispflicht bei möglichem Insolvenzgrund nur unter engen Voraussetzungen eingreift. Geschuldet sind Hinweis oder Warnung erst, wenn dem Berater der mögliche Insolvenzgrund bekannt wird, dieser für ihn offenkundig ist oder der Insolvenzgrund sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängt. Die bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus. Ferner muss der Berater Grund zu der Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden Handlungspflichten bewusst ist. Zudem erfordert die Hinweispflicht keine eigenständige Prüfung oder Ermittlung des Insolvenzgrundes.“

Aus der Zusammenschau der beiden Entscheidungen lässt sich für die anwaltliche Beratungspraxis ableiten, dass sich der mit einer Beratung in einem spezifischen Rechtsgebiet (hier: Arbeitsrecht) beauftragte Anwalt natürlich nicht offenkundigen Tatsachen verschließen kann – wenn also in den Medien bereits seit längerer Zeit über die mögliche Insolvenz eines Unternehmens spekuliert wird, dann darf er sich dieser Kenntnis auch im Rahmen seiner Mandatsarbeit nicht verschließen (s. dazu BGH, Urteil vom 19. 7. 2001 – IX ZR 36/99). Ansonsten ist er nur zu einer “mandatsbezogenen Rechtskenntnis” und entsprechenden Beratung seiner Mandanten verpflichtet.

Wird der Rechtsanwalt aber gerade explizit zur Beratung in und zu der Krisenlage herangezogen, dann unterliegt er dem vom BGH aufgezeigten weiteren Pflichtenkreis und muss seinen Mandanten auch ungefragt über etwaige Insolvenzantragspflichten unterrichten. Weitere Pflichten, die sich u.a. für Rechtsanwälte, soweit sie im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses des Mandanten beteiligt sind, ergeben sich mittlerweile aus § 102 StaRUG (s. aber auch BGH, Urt. v. 26.01.2017 – IX ZR 285/14 zur Haftung des Steuerberaters und OLG Bamberg, Urt. v. 31.7.2023 – 2 U 38/22 zur Haftung des Sanierungsberaters bei unterlassenen Hinweisen).

Fazit

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf fügt sich schlüssig in die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung zum Pflichtenkreis des (anwaltlichen) Beraters ein. Dabei muss man berücksichtigen, dass die zuvor zitierten Entscheidungen des BGH und des OLG Bamberg aus Sicht des Krisenunternehmens erfolgten, die vorliegende Entscheidung des OLG Düssdeldorf jedoch aus Sicht der Gläubigerin eines Krisenunternehmens. Die Entscheidung erscheint deswegen auch vor dem Hintergrund anderer Entscheidungen des BGH stringent: Denn der BGH stellt an Gläubiger eines Krisenunternehmens selbst im Falle eines Sanierungsversuches weder an die Kenntnis noch an die etwaig erforderliche Schlüssigkeitsprüfung übermäßig hohe Anforderungen (BGH, Urt. v. 28.03.2019 – IX ZR 7/18). Diesen Maßstab wendet das OLG Düsseldorf auch auf den Gläubigervertreter an.

Praxishinweis

Zwar bietet die Entscheidung des OLG Düsseldorf eine gewisse Sicherheit, insbesondere für Fachberater außerhalb des Insolvenzrechts. Angesichts der Rechtsprechung des BGH zur Relevanz von Pressemeldungen sollten jedoch nicht nur anwaltliche Berater die Augen vor einer möglichen Insolvenz nicht verschließen, wenn (soziale!)  Medien über eine Krise des betroffenen Unternehmens berichte. Bei entsprechender Kenntniserlangung sollten sie den Mandanten auch ungefragt über etwaige Folgen einer etwaigen Insolvenz beraten.

OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 4.6.2024 – 24 U 1/23
BGH, Urteil vom 29.06.2023 – IX ZR 56/22

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