D&O-Versicherung: Neue Rechtsprechung erweitert Kardinalpflichten

July 10, 2025
Volker Beissenhirtz

Partner

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Versicherer in der Defensive – doch Oberlandesgerichte drehen den Trend

Nachdem der BGH im Jahr 2020 den D&O-Versicherern den Ausschluss der Leistungspflicht bei Insolvenzantragsverstößen deutlich erschwert hatte, ist nun wieder Bewegung in die Diskussion gekommen.

Das OLG Frankfurt hat im Januar und März 2025 zwei weitreichende Entscheidungen getroffen, die Geschäftsleiter aufhorchen lassen sollten – denn sie dehnen das Konzept der Kardinalpflichten spürbar aus.

Zentrale Aussage: Wissen um Pflichtverletzung reicht – Versicherer leistungsfrei

In beiden Fällen ging es um mögliche Pflichtverletzungen durch Geschäftsführer im Vorfeld der Insolvenz und die Frage, ob der D&O-Versicherer eintrittspflichtig ist. Konkret beantragten Insolvenzverwalter Prozesskostenhilfe für Klagen gegen die jeweiligen Versicherer – doch das OLG Frankfurt verneinte bereits die Erfolgsaussicht der Klage:

  • Der Geschäftsführer hatte gegen zentrale Pflichten verstoßen, darunter:
    • das Zahlungsverbot nach § 64 GmbHG a.F. / § 15b InsO,
    • die Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung.
  • Das Gericht nahm eine wissentliche Pflichtverletzung an, da der Geschäftsführer objektiv erkennbar gegen seine Pflichten handelte – und sich nicht ausreichend über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens informierte.
  • Indizien wie massive Steuerrückstände, leere Konten und fehlende Einnahmen reichten dem OLG aus, um eine bewusste Pflichtverletzung anzunehmen.

Neuer Standard: Krisenfrüherkennung als Kardinalpflicht

Die zweite Entscheidung des OLG Frankfurt vom März 2025 geht noch weiter:
Sie erhebt erstmals die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement in die Riege der Kardinalpflichten – also jener Pflichten, deren Verletzung regelmäßig zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt.

Konkret stützt sich das Gericht auf folgende Argumentation:

“Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung bestand bereits vor Inkrafttreten des StaRUG und ergibt sich aus § 43 Abs. 1 GmbHG.”

Damit wird die unternehmerische Früherkennungspflicht, wie sie § 1 StaRUG seit 2021 normiert, nun als eigenständige Haftungsgrundlage gewertet – mit weitreichenden Folgen für den D&O-Versicherungsschutz.

Einordnung: Abkehr von der bisherigen BGH-Linie möglich

Zwar hatte der BGH (Urt. v. 18.12.2024 – IV ZR 151/23) noch offengelassen, ob die Verletzung der Insolvenzantragspflicht allein zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt. Doch mit den jüngsten Urteilen aus Köln und Frankfurt droht eine faktische Erosion dieser Rechtsprechung.

Zwei zentrale Fragen stehen nun im Raum:

  • Bestätigt der BGH die Einordnung der Insolvenzantragspflicht und Massesicherungspflicht als Kardinalpflichten?
  • Wird auch die Pflicht zur Einrichtung eines Krisenfrüherkennungssystems zur versicherungsrelevanten Kardinalpflicht?

Wenn beide Fragen bejaht werden, wäre das ein Paradigmenwechsel: Die D&O-Versicherung könnte in vielen Krisenlagen faktisch leer laufen.

Was bedeutet das für Geschäftsleiter?

Die rechtliche Bewertung ist klar:
Wer „blind in die Krise segelt“, läuft Gefahr, den Versicherungsschutz zu verlieren – selbst wenn eine Police abgeschlossen wurde.

Die Haftung verschiebt sich damit vor:
Nicht mehr nur das Verhalten im Zeitpunkt der Insolvenzreife steht im Fokus, sondern bereits die vorgelagerte Pflicht zur Früherkennung und Krisenprävention.

Fazit & Empfehlung: Risikomanagement ist Chefsache

Spätestens seit 2020 hat sich das unternehmerische Umfeld deutlich verschärft. In einer Dauerkrise (Inflation, geopolitische Risiken, Lieferengpässe) gilt:

  • Geschäftsleiter sollten ein wirksames Risiko- und Krisenfrüherkennungssystem etablieren – nicht nur wegen § 1 StaRUG, sondern auch zur Sicherung des eigenen Versicherungsschutzes.
  • Der D&O-Versicherungsschutz bleibt nur bestehen, wenn die Kardinalpflichten eingehalten werden – und diese reichen heute deutlich weiter als noch vor wenigen Jahren.

Um mehr zu diesem Thema zu erfahren, kontaktieren Sie Volker und unser Team für Restrukturierungen.