Nachdem der BGH mit einer Entscheidung aus dem Jahre 2020 den Versicherern zunächst das Argument aus der Hand geschlagen hatte, dass eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht zu einem Haftungsausschluss der D&O-Versicherung führen würde, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Versicherer erneut versuchen würden, den teils drastischen Forderungen seitens der Insolvenzverwalter erneut entgegen zu treten. Nachdem im Jahre 2021 bereits das OLG zugunsten der Haftpflichtversicherer entschieden hatte, machte das OLG Frankfurt im Januar und März diesen Jahres zwei weitere Aufschläge.
Die aktuellen Entscheidungen des OLG Frankfurt/Main
Der Entscheidung aus dem Januar 2025 lag im Kern der Antrag des Insolvenzverwalters auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen den D&O-Versicherer des Geschäftsleiters des insolventen Unternehmens zu Grunde. Streitpunkt war insbesondere, ob der Versicherungsschutz wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen ist.
Der Versicherer hatte sich auf Leistungsfreiheit berufen, da der Geschäftsführer gegen zentrale Pflichten verstoßen habe, insbesondere gegen das Zahlungsverbot nach § 64 GmbHG a.F. (heute § 15b InsO) und die Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung. Das OLG bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, wonach diese Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht habe. Denn es liege eine wissentliche Pflichtverletzung nach den Versicherungsbedingungen (Nr. 6 Abs. 1 ULLA) vor. Eine solche Pflichtverletzung sei anzunehmen, wenn eine Pflicht in Kenntnis ihrer Existenz und mit dem Bewusstsein, sie zu verletzen, missachtet wird. Zwar trägt der Versicherer hierfür grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast, doch sei dies bei der Verletzung von sog. „Kardinalpflichten“ regelmäßig durch den objektiven Pflichtverstoß indiziert – etwa bei der unterlassenen Insolvenzantragstellung.
Der Geschäftsführer der Schuldnerin habe diese zentrale Pflicht verletzt, indem er bei Eintritt der Insolvenzreife keinen Antrag stellte, die Geschäfte weiterführen ließ und sich nicht über die wirtschaftliche Lage informierte. Gerade dies sei aber eine elementare Anforderung an jeden Geschäftsführer. Indizien wie massive Steuerrückstände, fehlende Einnahmen und zahlreiche Kontoleerungen belegten, dass die Insolvenzlage bereits klar erkennbar war.
Die Argumentation der weitere Entscheidung des OLG Frankfurt/Main aus dem März 2025 folgt im Wesentlichen den gleichen Ansätzen, wie die Entscheidung aus dem Januar, setzt sich zum einen jedoch auch mit der vom Beklagtenvertreter vorgetragenen angeblichen Widerlegung der Wissentlichkeit auseinander – und verneint sie im konkreten Fall. Zum anderen erweitert das Gericht aber auch die Kardinalpflichten gegenüber den vorherigen Urteilen nicht unwesentlich in Bezug auf die Krisenfrüherkennung (dazu sogleich unten).
Insgesamt ergibt sich aus der Entscheidung, dass bei schwerwiegenden Pflichtverstößen eines Geschäftsführers – insbesondere der Nichtbeachtung der Insolvenzantragspflicht – der D&O-Versicherer regelmäßig leistungsfrei ist, sofern die Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung sprechen.
Analyse der Entscheidungen
Im Kontext vorheriger Entscheidungen
Bei der Bewertung dieser Entscheidungen sind zeitlich vorgelagerte Entscheidungen sowohl des OLG Köln (2021) wie auch des für Versicherungsfragen zuständigen IV. Zivilsenats des BGH (2020 und 2024) zu beachten. Der BGH Senat hatte die Entscheidungen der Vorinstanzen jeweils aus Gründen der Auslegung von Versicherungsbedingungen aufgehoben – und grundsätzlich konstatiert, dass der in § 64 Satz 1 GmbHG a. F. / § 15b InsO geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleisteten Zahlungen ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne von Ziffer 1.1 ULLA sei. Allerdings hat der BGH in beiden Fällen die Sache an die Vorinstanzen zur Entscheidung zurückverwiesen, u. a. weil noch zu klären war, ob der Versicherte gegebenenfalls seine Pflichten wissentlich verletzt habe.
Nicht nur das OLG Frankfurt sondern zuvor schon das OLG Köln in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2021 haben diesen Ball sozusagen aufgenommen und genau diese wissentliche Pflichtverletzung in Bezug auf die Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO und die Massesicherungspflicht nach § 15b InsO den von Ihnen zu entscheidenden Fällen konstatiert.
Krisenfrüherkennung als Kardinalpflichten
Das OLG Frankfurt nimmt insbesondere in seiner Entscheidung aus dem März 2025 die Argumentationslinie des OLG Köln auf, wenn es schreibt, dass zum Elementarwissen eines Geschäftsführers die Vergewisserung über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft sowie die eingehende Prüfung der Insolvenzreife gehöre. Der Unternehmensleiter sei zur beständigen wirtschaftlichen Selbstkontrolle verpflichtet. Organmitgliedern, die „blind in die Krise segeln“ sei ebenfalls die Verletzung einer Kardinalpflicht vorzuwerfen. Nachfolgend erweitert das OLG Frankfurt/Main dann explizit den Pflichtenkreis noch einmal explizit: “Die allgemein anerkannte, der Insolvenzantragspflicht vorgelagerte und in diese nahtlos übergehende Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern bestand schon vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 1 StaRUG aus § 43 Abs. 1 GmbHG.”
Damit erhebt das OLG Frankfurt die aus § 1 StaRUG folgende Pflicht zur Etablierung eines Systems zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement ausdrücklich zu einer weiteren Kardinalpflicht. Auch wenn diese Weiterung angesichts der entsprechenden Ansichten im Schrifttum für Fachleute nicht überraschend kommt (s. dazu schon hier), würde sie – so sich der BGH der Ansicht anschließt – gleichwohl in der Rechtspraxis einen massiven Paradigmenwechsel darstellen und im Zweifel die D&O-Versicherung in einem elementaren Bereich obsolet werden lassen.
Es dürfte schon angesichts dieser Erweiterung nur eine Frage der Zeit, bis der IV. Zivilsenat des BGH mit den von den Oberlandesgerichten in Köln und Frankfurt/Main konzipierten Ansätzen konfrontiert wird. Faktisch wird durch die Deklarierung der Insolvenzantragspflicht die bisherige Rechtsprechung des Senats, dass selbst ein Verstoß gegen die Insolvenzantragsflicht nicht zu einem Ausschluss der Leistungspflicht führt, ausgehebelt. Die erste Frage ist also, ob der Senat der Einstufung der Insolvenzantragspflicht und der Massesicherungspflicht als Kardinalpflicht zustimmen wird. Die zweite Frage ist, ob er auch der weitergehenden Erweiterung der Kardinalpflichten auf die Etablierung mit § 1 StaRUG konformer Krisenfrüherkennungssysteme beipflichten wird. Sollte dies der Fall sein, dürfte gerade haftungstechnisch der Verstoß gegen die Insolvenzantrags- und Massesicherungspflicht nur noch subsidiäre Bedeutung behalten und die Frage der Haftungszurechnung wird sich auf die Frage des Vorhandenseins eines adäquaten Risiko- und Krisenmanagementsystems vorverlagern.
Fazit & Empfehlung
Jenseits der im Folgenden diskutierten rechtlichen Haftungsrisiken ist jedem Geschäftsleiter schon in Anbetracht der seit 2020 immer weiter anschwellenden Polykrise anzuraten, ein adäquates Risikomanagementsystem für sein Unternehmen zu implementieren. Denn nur so können die unternehmerischen Risiken minimiert werden.
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