BGH setzt Grenze: Kundenanlagen stoßen an ihre rechtlichen Leitplanken
Der Bundesgerichtshof hat eine lang diskutierte Frage der Energieversorgung entschieden – und damit nicht nur ein einzelnes Projekt gestoppt, sondern Maßstäbe gesetzt: Wer Netze errichtet, um ganze Wohnquartiere mit Strom zu beliefern, kann sich nicht ohne Weiteres auf das Kundenanlagenprivileg berufen. Das gilt jedenfalls dann, wenn dabei die Regeln des europäischen Binnenmarkts verletzt werden.
Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 (Az. EnVR 83/20) bestätigt der BGH die Linie, die der Europäische Gerichtshof im November 2024 vorgezeichnet hat. Die Botschaft: Eine Kundenanlage im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ist nicht, wer faktisch wie ein Verteilernetzbetreiber agiert – und dabei unter dem Deckmantel der Privilegierung regulierungsrechtliche Vorgaben umgehen will.
Ein ehrgeiziges Vorhaben – und sein regulatorisches Scheitern
Im konkreten Fall ging es um ein Energieversorgungsunternehmen, das zwei Blockheizkraftwerke zur Versorgung von über 200 Wohneinheiten errichten wollte – samt eigener Stromleitungen, die direkt zu den angeschlossenen Wohnblöcken führen sollten. Das Projekt sollte nicht nur die Energielieferung sichern, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sein. Die rechtliche Hoffnung: Als Kundenanlage klassifiziert, sollte das Vorhaben von zahlreichen regulatorischen Pflichten befreit bleiben.
Doch schon die Landesregulierungsbehörde und der örtliche Netzbetreiber machten nicht mit. Sie verweigerten die Anerkennung als Kundenanlage und damit auch den privilegierten Netzanschluss. Die Sache landete vor Gericht – zunächst beim Oberlandesgericht Dresden, das die ablehnende Haltung der Behörden teilte: Zu groß, zu relevant, zu systematisch. Keine Ausnahme.
Luxemburg urteilt: Kundenanlagen haben Grenzen
Der Fall wurde durch die Instanzen weitergereicht – bis zum EuGH nach Luxemburg. Dort machte der EuGH klar: Wer ein neues Netz errichtet, um Dritte gegen Entgelt zu versorgen, kann sich nicht auf nationale Ausnahmeregelungen berufen, wenn das mit der EU-Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie kollidiert. Insbesondere dann nicht, wenn die Kosten für Aufbau und Betrieb letztlich auf die Letztverbraucher abgewälzt werden. Ausnahmen – etwa für geschlossene Verteilernetze – seien eng auszulegen.
BGH vollzieht europäische Linie – und zieht Konsequenzen
Zurück in Karlsruhe schloss sich der BGH dieser Auslegung nun an. Er klassifiziert das Netz der Energieversorgerin eindeutig als reguliertes Verteilernetz – mit allen Pflichten, die das mit sich bringt. Denn entscheidend sei nicht die rechtliche Etikettierung, sondern die tatsächliche Funktion des Netzes: Es diene der entgeltlichen Versorgung Dritter – und das sei kein Kundenanlagenbetrieb mehr, sondern regulierte Netzinfrastruktur.
Was das Urteil bedeutet – und was offen bleibt
Die Entscheidung ist eindeutig – und gleichzeitig der Auftakt für neue Fragen. Denn der BGH lässt offen, ab wann genau Größe, Reichweite oder Struktur eines Netzes die Schwelle zur Regulierungspflicht überschreiten. Es bleibt zu hoffen, dass sich aus der Beschlussbegründung des BGHs weitere Einzelheiten ergeben, denn aktuell stehen Betreiber und Projektierer nun vor der Herausforderung, bestehende Konzepte zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen – organisatorisch wie wirtschaftlich.
Zugleich wächst der Druck auf den Gesetzgeber: Das EnWG muss künftig klarer zwischen Kundenanlagen und Verteilernetzen unterscheiden – und dabei die europarechtlichen Leitlinien einhalten. Die Übergangszeit könnte kurz werden. Wer heute in innovative Energieversorgung investiert, sollte die rechtlichen Fundamente kennen – und die regulatorischen Entwicklungen genau verfolgen.
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