BGH zu Anforderungen an Gläubiger bei Sanierungsbemühungen des Schuldners

July 19, 2024
Volker Beissenhirtz

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Zahlungen eines in der Krise befindlichen Unternehmens können in einer späteren Insolvenz zu einem bösen Erwachen für die Gläubiger führen – selbst wenn sie auf einer Sanierungsplanung beruhen, wie ein aktuelles Urteil des BGH zur Insolvenzanfechtung erneut belegt.

Der nachfolgende Post skizziert deswegen die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung im Hinblick auf Umstände, die Gläubiger beachten müssen, wenn Leistungen im Rahmen einer Unternehmenssanierung erbracht werden.

Die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung

Schon aufgrund der langen Fristen erfolgt nach gescheiterten Sanierungen eine Anfechtung häufig im Rahmen der sog. “Absichtsanfechtung” nach § 133 Abs. 1 InsO.

Danach ist der Insolvenzverwalter berechtigt, eine Rechtshandlung des Schuldners bis zu zehn Jahre vor dem Insolvenzantrag anzufechten, wenn er nachweist, dass der Schuldner diese mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat und der Gläubiger den Vorsatz des Schuldners kannte.

Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligen würde. Der BGH hat im Laufe der letzten Jahre die Anwendbarkeit dieser Regelung bei der Anfechtung von Leistungen, die im Rahmen letztendlich gescheiterter Sanierungen erfolgten, immer weiter konkretisiert.

a) In einer Entscheidung aus dem Jahre 2016 hatte der BGH zunächst seine langjährige Rechtsprechung bestätigt, wonach ein ernsthafter, wenn auch letztlich fehlgeschlagener, Sanierungsversuch unter bestimmten Umständen sowohl den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners als auch die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz entfallen lassen kann.

Für das Vorliegen eines “ernsthaften Sanierungsversuchs” ist nach Ansicht des BGH ein Sanierungskonzept (oder Sanierungsplan) erforderlich.

Dieses muss nicht bestimmten formalen Erfordernissen entsprechen, wie etwa dem sog. IDW Standard S 6 (IDW S 6). Die Einhaltung der dort für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen mag für eine erfolgreiche Sanierung in der Regel eine positive Prognose ermöglichen. Sie ist aber nicht zwingend erforderlich und vor allem bei kleinen Unternehmen nicht immer in vollem Umfang geboten.

Eine rechtsprechungskonforme Konzeption muss allerdings die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysieren, und es müssen die Krisenursachen sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfasst werden (Rz. 19). Auch setzt ein schlüssiges Sanierungskonzept nicht notwendigerweise die Einbeziehung sämtlicher Gläubiger voraus (Rz. 19).

Gläubiger können allerdings nur dann von einem schlüssigen Sanierungskonzept des Schuldners ausgehen, wenn sie in Grundzügen über die wesentlichen Grundlagen eben dieses Konzeptes informiert sind.

Dabei sind die Gläubiger in der Regel auf die Informationen angewiesen, die ihnen der Schuldner zur Verfügung stellt.

Auf die Erteilung der erforderlichen Informationen müssen die Gläubiger im Vorfeld einer Sanierungsvereinbarung im eigenen Interesse bestehen (Rz. 25). Die Gläubiger sind jedoch nicht verpflichtet, das Sanierungskonzept des Schuldners fachmännisch zu prüfen; vielmehr dürfen sie sich auf die Angaben des Schuldners verlassen – solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen.

b) In einer Entscheidung aus dem Jahre 2019 konstatierte der BGH zudem, dass an die auf die Schlüssigkeit des Sanierungskonzepts (im konkreten Fall ließ er sogar eine “Sanierungsskizze” als “ernsthaften Sanierungsversuch” genügen!) bezogene Kenntnis des Gläubigers nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden könne wie an diejenige des Schuldners.

c) Unternimmt der Schuldner einen Sanierungsversuch, hat der Insolvenzverwalter für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners darzulegen und zu beweisen, dass dieser Sanierungsversuch untauglich war und der Schuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat, wie der BGH im Jahre 2022 entschied (Rz. 74).

d) Gewährt der Schuldner dem Gläubiger im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit allerdings eine inkongruente Deckung und hat die Inkongruenz ein erhebliches Gewicht, obliegt nach der Entscheidung des BGH aus dem Januar 2024 dagegen dem Gläubiger der Gegenbeweis, dass die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, wenn auch letztlich fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs war. Ist der Gläubiger im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung nur zu einer kürzeren als der vom Schuldner nach dem Sanierungsgutachten geforderten Prolongation der gewährten Darlehen bereit, kann dies Zweifel am Vertrauen auf einen ernsthaften und erfolgversprechenden Sanierungsversuch begründen.

Analyse der Entscheidungen

Während den Entscheidungen aus den Jahren 2016/2019 entweder keine inkongruente Deckung zugrunde lag – oder zumindest nicht problematisiert wurde – liegt der BGH-Entscheidung aus dem Jahre 2022 bereits explizit eine kongruente Deckung zugrunde (Rz. 74). In seiner Entscheidung aus dem Januar 2024 legt der BGH schließlich genau auf die Inkongruenz der Leistung den Schwerpunkt seiner Entscheidung.

Um eine sog. “kongruente” Deckung handelt es sich, wenn der Gläubiger genau die vertraglich vereinbarte Leistung (oder Sicherung) erhält, vgl. § 130 InsO. Dagegen handelt es sich um eine “inkongruente” Deckung (oder Sicherung), wenn der Gläubiger eine Leistung erhält, die er “nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit” zu beanspruchen hat, vgl. § 131 InsO.

So hatten sich z. B. die Gläubiger-Banken in der oben diskutierten Entscheidung aus dem Jahre 2024 für die Prolongation bestehender Kredite im Rahmen der Sanierung weitere Sicherheiten gewähren lassen. Dies wurde in allen Instanzen als inkongruente Leistung gewertet.

Der BGH sieht in ständiger Rechtsprechung eine inkongruente Leistung bei “beengten finanziellen Verhältnissen” als Anzeichen für eine bewusste Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 133 InsO (Rz. 13 des Urt. aus 2024).

Dementsprechend gilt, dass sich im Falle einer kongruenten Leistung die Anforderungen an die Gläubiger auf die Kenntnis der Grundlagen und einer Schlüssigkeitsprüfung des Sanierungskonzeptes beschränken.

In solchen Fällen muss der Insolvenzverwalter die Untauglichkeit des Sanierungsversuchs und die Kenntnis des Schuldners davon beweisen. Im Falle einer inkongruenten Deckung haben die Gläubiger im Falle einer Absichtsanfechtung dagegen zu beweisen, dass der angefochtenen Leistung ein ernsthafter, aber erfolgloser Sanierungsversuch zugrunde lag.

Fazit

Grundsätzlich kann auch eine “Sanierungsskizze”, die zumindest die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche erfasst, die Krisenursachen analysiert, das Leitbild des sanierten Unternehmens entwirft und die Schlüssigkeit der zur Erreichung des Leitbildes vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen im Rahmen einer integrierten Vermögens-, Ertrags- und Liquiditätsplanung nachweist, als rechtsprechungskonformer “ernsthafter Sanierungsversuch” gelten.

Eine außerinsolvenzliche Sanierung braucht zudem nicht alle Gläubiger in die Sanierungsbemühungen einbeziehen. Die einbezogenen Gläubiger müssen allerdings das Sanierungskonzept auf seine Schlüssigkeit hin prüfen. Die Anforderungen an eine derartige Prüfung erhöhen sich nach der neuesten Rechtsprechung des BGH dann erheblich, wenn Gläubigern im Rahmen der Sanierung eine inkongruente Deckung im Gegenzug zum Sanierungsbeitrag zugewandt werden soll.

Wichtig ist darüber hinaus die Beachtung der “Fristenkongruenz”: Sanierungsbeiträge Dritter (z. B. die Verlängerung von Kreditlaufzeiten) müssen grundsätzlich tatsächlich den im Sanierungskonzept vorgesehenen Zeiträumen entsprechen.

BGH, Urt. v. 18.01.2024 – IX ZR 6/22

BGH, Urt. v. 03.03.2022 – IX ZR 78/20

BGH, Urt. v. 28.03.2019 – IX ZR 7/18

BGH, Urt. v. 12.05.2016 – IX ZR 65/14

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