Neue Hürden in der Post-Brexit-Landschaft
Die Freude über die mit dem Austritt aus der EU wiedergewonnene Freiheit schlägt für Gläubiger im Vereinigten Königreich schnell in einen Post-Brexit-Blues um, wenn sie versuchen, ihre bei einem Gericht in ihrem Land eingereichte Klage in der Europäischen Union zustellen zu lassen. Nachdem die Übergangsfrist für die Anwendung der Europäischen Zustellungsverordnung (EuZVO) am 31. Dezember 2020 abgelaufen ist, sind die vertrauten Wege nicht länger gangbar und es müssen im Dickicht bi- und multilateraler Abkommen neue Pfade gesucht werden. Im Fall der Klage gegen einen Geschäftspartner in Deutschland gibt es im Wesentlichen zwei Wege, einen kurzen steilen mit erheblicher Absturzgefahr und einen sehr langen mit vielen Windungen, der umständlich und langwierig, aber sicher ist:
Für Mutige: Die Direttissima
Diejenigen unter uns, die noch die letzten Dinosaurier erlebt haben, werden sich sicherlich auch an das deutsch-britisches Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20. März 1928 erinnern. Artikel 6 dieses Abkommens erlaubt, dass Schriftstücke in Fällen, „wo diese Art der Übermittlung nach dem Rechte des Landes gestattet ist, in welchem das Schriftstück ausgestellt ist“, auch durch die Post übermittelt werden können. Diese Vereinbarung ist niemals gekündigt oder anderweitig durch ausdrückliche Vereinbarungen außer Kraft gesetzt worden. Dennoch herrscht Unsicherheit, ob das Abkommen noch anwendbar ist oder infolge jahrzehntelangen Nichtgebrauchs obsolet und deshalb unwirksam geworden ist.
Wer mag und ein Gericht findet, das diesen Weg mitgeht, kann seine Klage also unter Hinweis auf Regel 6.40 des englischen Zivilprozessrechts (CPR) und Art. 6 des deutsch-britischen Abkommens von 1928 einfach per Post zustellen oder durch das Gericht zustellen lassen.
Die Royal Mail bietet einen „international tracked-and-signed-service“ an, der eine Unterschrift bei der Zustellung und eine Online-Zustellbestätigung beinhaltet. Wenn das nach Verfahrensregeln des Vereinigten als Zugangsnachweis akzeptiert wird, kann es einen Versuch wert sein. Aber vielleicht sollten Sie sich vorher doch lieber bei der Foreign Process Section des Royal Courts of Justice erkundigen, was sie von der Idee hält.
Auch wenn das angerufene Gericht die Zustellung der Klage per Post für zulässig hält, ist die Sache damit noch nicht erledigt: Wenn einer der Vertragsstaaten oder eins ihrer Gerichte feststellt, dass der Vertrag von 1928 nicht mehr anwendbar ist, ist das Urteil in Deutschland nicht vollstreckbar. Und das dürfte dann der größte anzunehmende Unfall sein, vor allem, wenn der Anspruch inzwischen verjährt ist und eine erneute Klage mit ordnungsgemäßer Zustellung keinen Erfolg mehr haben kann.
Für Risikobewusste: The Long and Winding Road
Der sichere Weg ist es, nach den Vorschriften des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (HZÜ) vorzugehen. Da Deutschland sich gegen eine vereinfachte Zustellung ausgesprochen hat (vgl. Artikel 10 HZÜ), ist eine förmliche Zustellung nach den im deutschen Recht vorgeschriebenen Verfahren erforderlich.
Gemäß diesem Übereinkommen hat die nach dem Recht des Ursprungslandes zuständige Behörde den Antrag auf Zustellung der Klage an die Zentrale Behörde im Zielland zu richten (Art. 3 HZÜ). Im Vereinigten Königreich ist der Senior Master of the Royal Courts of Justice die Behörde, die die Zustellung von Schriftstücken beantragen kann. Schwieriger ist es, die Zentrale Behörde in Deutschland ausfindig zu machen, weil dort jedes Bundesland eine eigene hat (was einen an der Bedeutung des Terminus „zentral“ zweifeln lässt). Der Antrag auf Zustellung eines Schriftstücks muss in einer Form gestellt werden, die dem Musterformular im Anhang des Übereinkommens entspricht.
Dem Anfrage-Formular sind die nach den CPR für die Zustellung einer Klage vorausgesetzten Dokumente (in zweifacher Ausfertigung) beizufügen, also mindestens das Klageformblatt (N1), die Klagebegründung, die Mitteilung über die Zustellung außerhalb der Gerichtsbarkeit (N510), der Formularsatz zur Beantwortung (N9), das Formular zur Anerkenntnis (N9A), das Formular zur Klageerwiderung und Widerklage (N9B) und die Hinweise für den Beklagten zur Erwiderung auf die Klage (N1C). Vergessen Sie nicht, die infolge der Auslandszustellung verlängerten Antwortfristen zu ermitteln und in die Formulare einzutragen.
Jedes einzelne zuzustellende Dokument erfordert eine deutsche Übersetzung. Die englischen Gerichte in ihrer Güte, Weisheit und Dienstleistungsbereitschaft haben bislang davon abgesehen, für die von ihnen verlangten Formblätter Übersetzungen in die Sprachen der wichtigsten Handelspartner britischer Unternehmen bereitzuhalten. Jedes einer Klage bei ihrer Zustellung beizufügende Formblatt muss deshalb auf Kosten des Klägers in die Sprache des Beklagten übersetzt werden – ebenso wie die Klagebegründung und deren Anlagen. Weder das HZÜ noch das deutsche Recht schreiben eine bestimmte Form der Übersetzung vor, CPR 6.45 (3) hingegen schon: Die Übersetzungen bedürfen einer Zertifizierung des Übersetzers unter Angabe seiner Qualifikation. Und selbstverständlich ist auch dieses Zertifikat in die Sprache des Beklagten zu übersetzen.
Im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten sollte die Klagebegründung möglichst kurz und prägnant gehalten und sollten unnötige Ausführungen vermieden werden.
Vermutlich ist es auch keine gute Idee, ihr zum Beweis der Forderung Dokumente im Umfang von mehreren hundert Seiten beizufügen.
Sobald der Zustellungsantrag bei der zuständigen Zentralen Behörde in Deutschland eingegangen ist, dauert die Zustellung und die Rücksendung der Bescheinigung über die Zustellung vier bis sechs Wochen. Das gesamte Verfahren kann jedoch leicht drei Monate und sogar mehr in Anspruch nehmen.
Fazit
Wenn es darauf ankommt, den sichersten Weg zu gehen, kommt für die Zustellung einer im Vereinigten Königreich erhobenen Klage in Deutschland allein der Weg nach dem Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Betracht. Nur wenn triftige Gründe es rechtfertigen, kann das Risiko einer Zustellung per Post erwogen werden. Falls Sie sich damit unwohl fühlen: Gegenwärtig wäre es wohl am besten, wenn Sie davon ausgingen, dass diese Komplikationen und rechtlichen Unsicherheiten nur unwesentliche Nebengeräusche des Brexit und kein Grund zum Jammern sind. Akzeptieren Sie, wenn Sie das können, dass solche Petitessen die Vorzüge der splendid isolation in einer globalen Wirtschaft nicht aufwiegen. Und bleiben Sie fröhlich.