Die “ewige” Haftung? Zur fortwirkenden Haftung abbestellter und faktischer Geschäftsführer im Lichte aktueller BGH-Rechtsprechung

July 10, 2025
Felix Knaub

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I. Einführung

Die persönliche Haftung von Geschäftsführern gehört zu den größten Risiken der Organstellung in der GmbH und anderen Kapitalgesellschaften. Insbesondere im Kontext einer Unternehmenskrise oder Insolvenz können Pflichtverletzungen weitreichende zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Lange Zeit galt die Annahme oder besser gesagt die Hoffnung, dass mit dem Ausscheiden aus der Organstellung auch die Haftung für die Zukunft ende.

Diese Vorstellung einer klaren Zäsur wird jedoch durch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urt. v. 14.12.1951 – 2 StR 368/51; BGH, Urt. v. 17.12.2013 – IV ZR 211/12; BGH, Urt. v. 13.07.2021 – II ZR 84/20) zunehmend relativiert. Zwei aktuelle BGH-Entscheidungen – das Urteil vom 23. Juli 2024 (Az. II ZR 206/22) zur zivilrechtlichen Haftung ausgeschiedener Geschäftsführer und der Beschluss vom 27. Februar 2025 (Az. 5 StR 287/24) zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit faktischer Geschäftsführer – verdeutlichen die fortwirkende Verantwortlichkeit und schärfen die Konturen der persönlichen Haftung für Organe und organähnlich Handelnde. Um Haftungsrisiken zu minimieren, müssen Organe richtig reagieren, wobei maßgebliche in der Rechtsprechung anerkannte Kriterien hierfür hilfreich sind.

II. Kurze Zusammenfassung der BGH-Entscheidungen

1. BGH, Urteil vom 23. Juli 2024, Az. II ZR 206/22 (Zivilrechtliche Haftung abbestellter Geschäftsführer)

In diesem Verfahren ging es um die zivilrechtliche Haftung gemäß § 823 BGB i.V.m. § 15a InsO eines ehemaligen Geschäftsführers gegenüber Neugläubigern (also Gläubigern, die erst nach Eintritt der Insolvenzreife mit der Gesellschaft in vertragliche Beziehungen getreten sind). Die Insolvenzreife war bereits während der Amtszeit des ehemaligen Geschäftsführers eingetreten, ein Insolvenzantrag wurde jedoch pflichtwidrig unterlassen. Nach seiner Abberufung tätigte die Gesellschaft weitere Geschäfte, die zu Forderungsausfällen der Neugläubiger führten.

Der BGH bestätigte die Haftung des ehemaligen Geschäftsführers. Er stellte klar, dass ein ausgeschiedener Geschäftsführer gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern haftet, die erst nach seinem Ausscheiden entstanden sind. Entscheidend ist, dass die durch die Verletzung seiner Insolvenzantragspflicht geschaffene verschleppungsbedingte Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbestand. Die Abbestellung beseitigt die bereits begangene Pflichtverletzung und deren fortwirkende kausale Wirkung gerade nicht.

2. BGH, Urteil vom 27. Februar 2025, Az. 5 StR 287/24 (Strafrechtliche Haftung faktischer Geschäftsführer)

Diese Entscheidung betrifft die strafrechtliche Verantwortlichkeit von faktischen Geschäftsführern, insbesondere im Zusammenhang mit Insolvenzstraftaten wie Bankrott (§ 283 StGB) und Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 Nr. 1 InsO). Das Landgericht hatte seinen Freispruch auf eine fehlende Außenwirkung von der faktischen Geschäftsführung gestützt.

Dem hat der BGH eine klare Absage erteilt und ausgeführt, dass dies eine zu enge Auslegung darstellt. Er betonte, dass für die Annahme einer faktischen Geschäftsführung im strafrechtlichen Kontext kein zwingendes Handeln mit Außenwirkung erforderlich ist. Entscheidend sei vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände, die auf eine maßgebliche und umfassende Bestimmung der Gesellschaftsgeschäfte im Innenverhältnis hindeuten.

Dies hat erhebliche Bedeutung für die Verfolgung von “Hintermännern” bei sogenannten “Firmenbestattungen”, wobei hiervon nicht nur die Fälle einer Firmenbestattung erfasst werden.

III. Bedeutung für die Haftungsvoraussetzungen und deren Konkretisierung anhand der BGH-Entscheidungen

Beide BGH-Entscheidungen konkretisieren die Haftungsvoraussetzungen und haben erhebliche Auswirkung auf die Haftungsrisiken von Geschäftsführern.

Im Folgenden soll nur auf die Voraussetzungen eingegangen werden, die eine Konkretisierung durch die BGH-Entscheidungen erfahren haben.

1. Schutzgesetzverletzung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO):

    § 15a InsO regelt die Pflicht zur unverzüglichen Stellung des Insolvenzantrags und stellt grundsätzlich ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar. Er dient dem Schutz der Gesamtheit der Gläubiger sowie der einzelnen Gläubiger.

    Der vorgenannte Grundsatz gilt explizit auch dem Schutz der sog. Neugläubiger (BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22). Der BGH hat in der vorbezeichneten Entscheidung klargestellt, dass der Schutz des § 15a InsO auch jenen Gläubigern zugutekommt, die nach Eintritt der Insolvenzreife mit der Gesellschaft in vertragliche Beziehungen treten und deren Forderungen aufgrund der verschleppten Insolvenz bzw. der pflichtwidrig unterlassenen Insolvenzantragstellung nicht erfüllt werden können (BGH, a.a.O.). Denn das Verbot der Insolvenzverschleppung hat neben dem Erhalt des Gesellschaftsvermögens auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, um Gläubiger zu schützen. Von diesem Schutzzweck werden auch die Neugläubiger erfasst (vgl. BGH, Urt. 21.10.2014 – II ZR 113/13 m.w.N.).

    2. Täterkreis (“als Mitglied des Vertretungsorgans”):

    Schuldner der Antragspflicht und damit potenzieller Täter ist dem Grunde nach der formell bestellte Geschäftsführer, vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

    Erneut wird dieser Grundsatz durch den BGH konkretisiert. Der BGH hat bestätigt, dass auch der faktische Geschäftsführer dem Täterkreis angehört (vgl. BGH, Beschl. v. 23.03.2022 – 1 StR 511/21, Rn. 8 und 11; BGH, Beschl. v. 11.07.2019 – 1 StR 456/18; BGH, Urt. v. 27.02.2025 – 5 StR 287/24). Begründet wird dies damit, dass es im Wesentlichen nicht auf die formale Stellung, sondern die tatsächliche Wahrnehmung geschäftsführertypischer Aufgaben und die maßgebliche Bestimmung der Geschicke der Gesellschaft ankommt (vgl. BGH, Beschl. v. 23.03.2022 – 1 StR 511/21, Rn. 11; BGH, Urt. v. 14.10.2020 – 1 StR 33/19, Rn. 26).

    Die schematische Anwendung eines Kriterienkatalogs verbietet sich dabei. Es kommt gerade nicht darauf an, dass eine Mehrzahl von „klassischen Merkmalen“ aus dem Kernbereich der Unternehmensleitung (vgl. dazu BayObLG NJW 1997, 1936 m.w.N.) erfüllt wird. Denn es ist bereits im Ansatz verfehlt, die Subsumtion der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls unter ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal durch das schematische Abarbeiten eines Kriterienkatalogs zu ersetzen (BGH, Beschl. v. 27.02.2025 – 5 StR 287/24, Rn. 15). Maßgeblich und notwendig ist immer eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls. Dabei ist richtig, dass die Vertretung der Gesellschaft im Rechtsverkehr bereits aufgrund der gesetzlichen Regelungen (§ 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG, § 78 Abs. 1 S. 1 AktG) eine zentrale Funktion darstellt und auch in der Rechtsprechung essenziell für eine Organstellung ist (vgl. BGH, Beschl. v. 13.12.2012 – 5 StR 407/12). Jedoch kann dieses Indiz nur bei am Markt werbenden Unternehmen greifen.

    Nicht jedoch im Rahmen von „Firmenbestattungen“, da hier keine werbende Tätigkeit mehr vorliegt und der Unternehmenszweck nur noch in der Abwicklung der Geschäftstätigkeit liegt (BGH, Beschl. v. 20.09.1999 – 5 StR 729/98). Mithin bedarf es im Fall der „Firmenbestattung“ weiterer Kriterien, um eine faktische Geschäftsführerstellung annehmen zu können. Hierzu zieht die Rechtsprechung die Pflichten zur Bilanzierung und Buchführung (§ 41 GmbHG, § 264 Abs. 1 HGB), zum Kapitalerhalt (§ 30 GmbHG, § 34 Abs. 3 GmbHG, § 15b Abs. 1 S. 1 InsO) und zur Stellung eines Insolvenzantrags (§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO) heran und knüpft daran an, dass die Übernahme der Kontrolle über die Erfüllung solcher Pflichten die Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung belegen kann und somit auf eine faktische Geschäftsführerstellung geschlossen werden (vgl. nur BGH, Urt. v. 27.02.2025 – 5 StR 287/24, Rn. 21).

    Für die Praxis ist dies deshalb wichtig, da hierdurch gerade auch die Fälle der „Firmenbestattung“ erfasst werden. Weitere in der Rechtsprechung entwickelten Indizien, anhand derer auf eine faktische Geschäftsführerstellung geschlossen werden kann sind u.a. die entscheidende Einflussnahme auf das operative Geschäft, das Treffen wesentlicher Personal-, Finanz- oder Geschäftsentscheidungen (auch wenn diese primär im Innenverhältnis bleiben).

    Insgesamt muss man sich vor Augen führen, dass der BGH die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die sich hinter Strohmännern verstecken, erneut erleichtert hat. Denn auf ein Auftreten nach außen kommt es gerade nicht zwingend nicht an.

    3. Objektiver Pflichtverstoß (Unterlassen der fristgerechten Insolvenzantragstellung):

    Der Insolvenzantrag muss unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Wochen (bei Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO) bzw. sechs Wochen (bei Überschuldung, § 19 InsO), nachdem die Insolvenzreife eingetreten ist und dem Pflichtigen bekannt wurde oder bekannt sein musste, gestellt werden.

    Dabei gilt, dass die Pflichtverletzung bereits in dem Moment gegeben ist, in dem der Geschäftsführer die Frist zur Antragstellung versäumt, während er im Amt ist (BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22). Maßgeblich für die Organe ist, dass diese bereits entstandene Pflichtverletzung und die daraus resultierende Gefahrenlage durch die spätere Abbestellung nicht beseitigt wird. Der Geschäftsführer haftet, wenn diese von ihm geschaffene Gefahrenlage (d.h. die fortbestehende Insolvenzreife ohne Antragstellung) noch im Zeitpunkt des Schadenseintritts des Neugläubigers fortwirkt (BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22). Mithin kann sich der Geschäftsführer seiner Haftung durch eine Abbestellung nicht entziehen, wenn er pflichtwidrig einen Insolvenzantrag nicht stellt und durch diese Lage neue bzw. weitere Gläubiger geschädigt werden. Für diesen Fall haftet auch der abbestellte Geschäftsführer.

    Wichtig für die Praxis ist die für Fälle, in denen es nach der Abbestellung noch zu Vertragsschlüssen mit Gläubigern kommt. Denn die Verletzung der Insolvenzantragspflicht ist auch nach der Beendigung der Organstellung noch mitursächlich für weitere Vertragsschlüsse, da es bei gebotener Antragstellung nicht mehr zu diesen Verträgen gekommen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22, Rn. 84).

    4. Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit):

    Der Geschäftsführer muss die Insolvenzreife gekannt oder zumindest bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte kennen müssen. Auch das Unterlassen der Antragstellung muss schuldhaft erfolgen (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Für die Strafbarkeit ist Vorsatz erforderlich.

    Die Frage des Verschuldens bezieht sich auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung während der Amtszeit des Geschäftsführers. Hat er zu diesem Zeitpunkt schuldhaft gehandelt, bleibt das Verschulden für die fortwirkenden Schäden bestehen. Der Geschäftsführer kann sich daher regelmäßig nicht mit dem Argument entlasten, ein anderer habe die von ihm geschaffene Gefahrenlage pflichtwidrig nicht beseitigt (vgl. BGH, Urt. v. 13.07.1982 – VI ZR 113/81; BGH, Urt. v. 26.03.2019 – VI ZR 236/18). Eine Zäsurwirkung wird in dem bloßen Wechsel der Person des Geschäftsführers gerade nicht gesehen (BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22).

    Eine Zäsurwirkung wird etwa angenommen, wenn die Gesellschaft sich nach der Antragspflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers zunächst wieder nachhaltig erholt hatte und erst nach seinem Ausscheiden wieder insolvenzreif geworden war, weil dann die durch seine Antragspflichtverletzung begründete Gefahrenlage bei Abschluss der späteren Verträge bereits wieder beendet war (vgl. BGH, Urt. v. 25.07.2005 – II ZR 390/03).

    Der Geschäftsführer hat die Verpflichtung die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer Krise durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen. Daher trifft den Geschäftsführer die Pflicht eine Organisation einzurichten, die ihm die Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht (BGH, Urt. v. 20.02.1995 – II ZR 9/94; BGH, Urt. v. 19.06.2012 – II ZR 243/11).

    Der Einwand, eine andere Gesellschaft betreibe eine umfassende Informationsabschottung greift nicht durch, da ein Geschäftsführer zunächst sich über Rahmenbedingungen sowie Grundstrukturen der Geschäfte vergewissern und diese prüfen muss. 

    Erneut klargestellt wurde, dass eine etwaige Ressortaufteilung nicht von der eigenen Verantwortung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte entbindet. Insoweit obliegt jedem Geschäftsführer eine Kontroll- und Überwachungspflicht gegenüber dem Mitgeschäftsführer (BGH, Urt. v. 06.11.2018 – II ZR 11/17).

    5. Schaden:

    Für die Haftung muss ein konkreter Schaden entstanden sein. Im Kontext der Insolvenzverschleppung ist dies häufig der Ausfall von Forderungen der Gläubiger.

    Nunmehr klar ist: Die Haftung bezieht sich auch auf Schäden der Neugläubiger, die im Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens Geschäfte tätigen, obwohl die Insolvenzreife bereits eingetreten war (BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22).

    6. Kausalität:

    Der Schaden muss kausal auf die pflichtwidrig unterlassene Insolvenzantragstellung zurückzuführen sein. Das gilt auch für die Haftung eines im Zeitpunkt der Geltendmachung bereits abbestellten Geschäftsführers.

    Soweit die Gesellschaft  weiterhin Geschäfte eingeht, obwohl sie insolvenzreif ist und kein Insolvenzantrag gestellt wurde, ist die Kausalität weiterhin gegeben, wenn die durch die unterlassene Antragstellung geschaffene verschleppungsbedingte Gefahrenlage  im Zeitpunkt des Schadenseintritts des Neugläubigers noch fortbesteht (BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22). Entscheidend ist, dass sich der Geschäftsführer durch die Abbestellung, seiner Haftung nicht entziehen kann, wenn die von ihm verursachte Gefahrenlage fortbesteht.

    7. Insolvenzreife:

    Entscheidend kommt es für die Haftung darauf an, dass nachweislich Insolvenzreife (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) vorlag.

    Wichtig ist, dass Geschäftsführer nicht vorbringen können, dass die in den Handelsbilanzen ausgewiesenen Gewinne und werthaltigen Forderungen gegen eine Insolvenzreife sprechen, wenn dort nur Buchwerte ausgewiesen werden (vgl. BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22).

    Zudem steht einer Rückstellungspflicht nicht entgegen, dass der Rückkaufpreis noch nicht fest vereinbart war, weil für eine solche dem Grunde und der Höhe nach ungewisse Verpflichtung auch in der Überschuldungsbilanz jedenfalls dann Rückstellungen zu bilden sind, wenn sie im Rahmen einer ordnungsgemäßen Liquidation zu erfüllen wären (BGH, Urt. v. 22.09.2003 – II ZR 229/02). In diesem Zusammenhang stellt sich auch immer die Frage, ob die Hinzuziehung eines Sachverständigen geboten ist. Hierfür maßgeblich sind die im konkreten Fall zu bewertende Umstände und erhobenen Einwände. Soweit dies keinen besonderen kaufmännischen oder bilanztechnischen Sachverstand erfordert, d.h. es rein um rechtliche Fragen (z.B. Zulässigkeit der gesellschaftsübergreifenden Betrachtung, Passivierung von Rückkaufverpflichtungen) geht, bedarf es keine sachverständige Hilfe (so BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 206/22, Rn. 76).

    Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB hat der BGH erneut klargestellt, dass die beweis- und darlegungsrechtliche Position des Erblassers auf den Erben übergeht, so dass es weder auf die eigene Kenntnis noch auf die eigenen Erkenntnismöglichkeiten ankommt, sondern nur auf diejenigen des Erblassers (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 28.02.2019 – IV ZR 153/18; BGH, Urt. v. 23.07.2024 – II ZR 205/22).

    IV. Handlungsempfehlungen für Geschäftsführer (formelle und faktische)

    Die aktuellen BGH-Entscheidungen unterstreichen, dass die Verantwortung von Geschäftsführern weitreichender und potenziell länger andauernd ist als oft angenommen. Die Grenzen zwischen formeller und faktischer Geschäftsführung verschwimmen im Haftungsfall zunehmend. Um persönliche Haftungsrisiken zu minimieren, sollten Geschäftsführer folgende Punkte unbedingt beachten:

    1. Aktives und proaktives Krisenmanagement:

    • Früherkennungssysteme: Implementierung und Nutzung eines funktionierenden internen Kontroll- und Risikomanagementsystems. Kontinuierliche Überwachung der Liquidität, Ertragslage und Vermögenssituation der Gesellschaft.
    • Regelmäßige Finanzprüfung: Erstellung regelmäßiger Finanz- und Liquiditätsplanungen. Bei Anzeichen einer Krise umgehend eine Stichtagsbilanz zu Liquidationswerten erstellen und die Fortführungsprognose prüfen.

    2. Strikte Einhaltung der Insolvenzantragspflicht:

    • Insolvenzreife kennen und prüfen (lassen): Geschäftsführer sollten sich mit den genauen Kriterien für Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) vertraut machen und dies stets im Blick behalten.
    • Unverzügliches Handeln: Sobald Insolvenzreife eintritt und keine begründete Aussicht auf eine nachhaltige Sanierung innerhalb der gesetzlichen Frist besteht, muss der Insolvenzantrag unverzüglich gestellt werden. Jede Verzögerung erhöht das persönliche Haftungsrisiko für die Antragspflichtigen erheblich.

    3. Transparenz und klare Rollenverteilung:

    • Bei formeller Bestellung: Geschäftsführer müssen sicherstellen, dass sie alle relevanten Informationen von Personen im Hintergrund erhalten, um ihren Pflichten nachkommen zu können. Auf erkannte Defizite sollte hingewiesen und nachgebessert werden.
    • Bei faktischer Einflussnahme: Wenn zwar keine formelle Organstellung besteht, aber maßgeblicher Einfluss auf die Gesellschaft genommen wird, empfiehlt es sich Befugnisse präzise abzuklären. Vermieden werden sollte es, ohne offizielle Funktion weitreichende geschäftsführende Entscheidungen zu treffen, da andernfalls die Haftung als faktischer Geschäftsführer drohen könnte. Die Stellung als faktischer Geschäftsführer und damit die Haftung kann auch ohne äußeres Auftreten angenommen werden.

    4. Dokumentation ist essenziell:

    • Alle wesentlichen Entscheidungen, Einschätzungen zur Unternehmenslage und Kommunikationen (insbesondere mit Gesellschaftern, Aufsichtsräten und Nachfolgern) sollten schriftlich festgehalten werden.
    • Bei Anzeichen einer Krise empfiehlt es sich zu dokumentieren, welche Maßnahmen zur Sanierung eingeleitet und welche Prognosen gestellt wurden.

    5. Sorgfalt bei Ausscheiden aus der Geschäftsführung:

    Im Falle des Ausscheidens aus der Geschäftsführung sollte auf einige besondere Punkte geachtet werden.

    Sichergestellt werden sollte, dass ein Nachfolger und die Gesellschafter umfassend und nachweisbar über die finanzielle Situation der Gesellschaft, insbesondere über eine bestehende oder drohende Insolvenzreife, informiert werden.

    Für den Fall, dass die Insolvenzreife bereits im Zeitpunkt der Amtszeit eingetreten ist, sollte der Insolvenzantrag idealerweise noch vor dem Ausscheiden gestellt werden, um die persönliche Haftung für fortwirkende Schäden zu minimieren. Insbesondere muss dabei berücksichtigt werden, dass die „Gefahrenlage“ auch nach dem Ausscheiden fortbestehen kann.

    V. Fazit

    Die jüngeren BGH-Entscheidungen (aus Juli 2024 und Februar 2025) sind ein deutliches Signal an alle, die in der Verantwortung eines Unternehmens stehen oder maßgeblich dessen Geschicke bestimmen. Die Konzepte der fortwirkenden Haftung des abbestellten Geschäftsführers und der strafrechtlichen Einordnung des faktischen Geschäftsführers ohne zwingende Außenwirkung verschärfen die persönlichen Risiken erheblich. Eine proaktive, transparente und rechtlich fundierte Geschäftsführung ist der beste Schutz vor einer “ewigen” Haftung.

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